Auch wenn der Wunsch und das Bedürfnis der Eltern, dass die Kinder möglichst wenig unter der Trennung leiden sollen, nachvollziehbar und verständlich ist - Kinder leiden in jedem Fall, und häufig sehr stark unter der Trennung ihrer Eltern. (Und das dürfen wir auch als Zeichen einer psychischen Gesundheit verstehen.) Mit diesem Wissen kann nun allerdings vielleicht der Blick auf die Not des Kindes gelegt werden, darauf, es zu verstehen und darauf, wie ihm geholfen werden kann, damit die Nöte nicht zu groß werden.
Kinder leiden schon allein deshalb, weil sie die Trennung der Eltern nicht nur erleben als: „Mama und Papa trennen sich“, sondern vorrangig als: „der Papa/die Mama, die ich über alles liebe und (bei mir) brauche, verlässt mich bzw. trennt sich von mir - Ich werde verlassen!“
Das wiederum löst aber – genau so wie bei uns Erwachsenen – nicht nur Gefühle
der Trauer und Wut aus, sondern darüber hinaus auch starke (und nicht unbedingt bewusst erlebte) Gefühle der Angst: Angst - auch den anderen - Elternteil zu ver-lieren; Angst, allein zurückzubleiben; Angst, nicht geliebt zu sein bzw. liebenswert genug zu sein, Angst versorgt zu sein usw.
Dazu kommen fast immer Vorstellungen, an der elterlichen Trennung (zumindest mit-) schuld zu sein: in der kindlichen Phantasie und Wahrnehmung legen das Erleben der eigenen Streitigkeiten mit den Eltern oder die Konflikte der Eltern bei Erziehungsfragen diese Schlussfolgerung oft nahe.
Empfindungen von Trauer, Wut, Angst und Schuldgefühlen sowie ein teilweiser Identitätsverlust und besonders auch Loyalitätskonflikte gehören damit einerseits situationsbezogen (auch wenn sie nicht alleine ein Spezifikum der Scheidung sind) zu den Gefühlslagen von Scheidungskindern dazu, andererseits überfordern sie oft viele Kinder in dieser Krisensituation bzw. beeinträchtigen ihre seelische Entwicklung.
Dass schließlich eine so radikale Veränderung der äußeren Lebensverhältnisse und die damit zusammenhängenden inneren Belastungen oft auch ‚laute’ Reaktionen nach sich ziehen, lässt sich nicht vermeiden.
Und so ist es auch vollkommen normal, dass Kinder nach der Scheidung bzw. Trennung ihrer Eltern häufig Symptome zeigen, wie Aggression, übermäßige Kontrollbedürfnisse, Ängstlichkeit, Klammern, aber auch (sozialen und emotionalen) Rückzug oder Verhalten der Ablehnung.
Und wieder andere Kinder reagieren mit psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Magenschmerzen, Einschlafstörungen/Schlaflosigkeit oder Einnässen, Leistungsabfall oder disziplinären Schwierigkeiten in der Schule.
Manche Kinder scheinen ‚zurückzufallen’ in frühere kindliche Entwicklungsstufen, manche ‚vorauszulaufen’, erscheinen auffallend reif und ‚tough’, fast erwachsen in ihren Reaktionen.
Doch auch bei scheinbarer ‚Symptomfreiheit’ - immer steht das Kind vor starken Verunsicherungen der inneren wie äußeren Beziehungen und deren Ausgestaltung.
Kinder zeigen durch ihre ganz unterschiedlichen und individuellen Ausdrucksmöglichkeiten meistens sehr unmittelbar, dass sie mit der Trennung der Eltern zu kämpfen haben und wie schwer es für sie ist, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.
Davon abgesehen zeigen die Kinder aber über diese Reaktionen nicht nur ihre Notlage und Bedürftigkeit auf, sondern sie weisen damit zugleich uns Erwachsene auch darauf hin, dass sie in einer bislang geglückten, und ihrem Kindsein entsprechenden innigen Beziehung zu ihren beiden Eltern stehen und beide Eltern lieben. Und dass sie der Versicherung und Fortführung dieser Liebe zu und von beiden Elternteilen sehr bedürfen.
Bei einer Scheidung bzw. Trennung stehen sich nun häufig zwei Bedürfnislagen gegenüber: jene der Eltern und jene der Kinder. Brauchen Eltern in dieser Zeit eigentlich Kinder die angepasst, brav und problemlos sind, wenig fordern und selbständig sind – fordern Kinder in dieser Zeit Eltern, die so verständnisvoll, ausgeglichen, wohlwollend und geduldig sind wie noch nie, Eltern, die ihnen unaufhörlich ihre bedingungslose Liebe zeigen und ihnen auch jene des anderen Elternteils versichern.
So entsteht allein aus der Situation der Trennung situationsbezogen ein Widerspruch von Bedürfnissen und Gefühlen, der nur schwer zu überbrücken ist. Und trotzdem – wie für die Erwachsenen auch, enthält die Trennung auch für die Kinder eine Chance, aus der sie etwas gewinnen können.